Krise ohne Krise, oder was?

przez Helen Lewis

Am Sonntagabend, den 30. Oktober, um 17.00 Uhr füllte sich das Tagungszentrum der Katholischen Akademie in Berlin. Thema des Diskussionsabends: Die Ursachen und Folgen der Krise des polnischen Verfassungsgerichts (VG). Zur Konferenz haben eingeladen der Botschafter der Republik Polen, Herr Prof. Andrzej Przylebski und der „Diskussionsklub am Sonntag“.

Die Konferenz wurde mit dem Vortrag von Prof. Dr. hab. Bogumil Banaszak eröffnet, einem bedeutenden Rechtswissenschaftler, Dekan des Fachbereichs Rechtswissenschaft an der Universität in Zielona Góra und Mitglied der Venedig-Kommission. Seine Erklärung der Wahlprozedur der polnischen Verfassungsrichter war sehr aufschlussreich. Bereits nach 25 Minuten seines Vortrags war es für die meisten Anwesenden klar, dass es sich mehr um ein juristisches und weniger um ein politisches Problem handelt, das polnische Fachleute ohne fremde Hilfe in Griff bekommen werden. Die Kompetenzen sind klar und der Vorsitzende des VG darf nicht entscheiden, ob ein Richter verhandeln darf oder nicht. Prof. Banaszak verwies auf andere EU-Länder, wo die Turbulenzen um die Verfassungsgerichte viel länger andauern und größere Dimensionen angenommen haben, wie z.B. in Italien, Spanien und der Slowakei. In keinem dieser Fälle wurde die Europäische Kommission aktiv. „Polen ist und bleibt ein Rechtsstaat, wo die Kompetenzen des Parlamentes und der Gerichte klar formuliert sind“, sagte er. „Auch Deutschland hatte seinen Carl Creifelds, der zwar 1963 zum Verfassungsrichter gewählt, jedoch vom Bundespräsidenten Heinrich Lübke nicht ernannt wurde."

Professor Dr. hab. Lech Morawski von der Juristischen Fakultät der Universität in Torun, Spezialist für das Verfassungsrecht und Richter am polnischen Verfassungsgericht, erklärte, dass dieser Konflikt zwar politischer Natur zu sein scheint, es eigentlich ein Konflikt zwischen zwei verschiedenen Sichtweisen der Verfassung und ihrer Auslegung ist. Es ist ein Konflikt zwischen den regierungsnahen Anhängern der richterlichen Zurückhaltung - Passivität, und den Anhängern der richterlichen Aktivität in der Opposition.

Er erzählte genau, wie es zu den Turbulenzen um die Verfassungsrichter gekommen ist. Er selbst ist einer der betroffenen Richter, die im Dezember 2015 vereidigt wurden, vom Gerichtsvorsitzenden jedoch keine Aufgaben zugeteilt bekamen. Noch besser: Sie wurden von einer Sitzung ausgeschlossen und mussten nach zweistündiger juristischen Debatte den Saal schließlich verlassen.

Prof. Banaszak (links) und Prof. Morawski

Nach der Auffassung von Prof. Morawski darf das Verfassungsgericht das Gesetz nicht kreieren oder ändern. Die Richter sollen sich politisch nicht betätigen. Das heutige Rechtssystem in Polen ist unpräzise und die Gerichte erschaffen ungewollt neue Gesetze. Das Verfassungsgericht wächst damit zum Konkurrenten für das Parlament.

Normalerweise nimmt das Gericht keine Vorschriften raus und setzt keine neuen in die Gesetze ein. Das polnische Verfassungsgericht verteidigt, seiner Meinung nach, die Interessen der Großkonzerne. Polnische Wirtschaftselite sei mit den Postkommunisten eng verbunden. Außerdem funktioniert in Polen das Grundgesetz von 1997, das den alten Staatsfunktionären den Bestandschutz ihrer Bezüge und Privilegien garantiert.

Das Argument, PiS würde das Verfassungsgericht lähmen, sei nicht stichhaltig: 15 Verfassungsrichter verhandeln jährlich in ca. 500 Sachen, darunter 400 Verfassungsbeschwerden, die lediglich einer Zulässigkeitsprüfung bedürfen. Es bedeutet also, dass diese 15 Richter jährlich 100 Sachen verhandeln. Ein einfacher Richter am Landgericht verhandelt unterdessen 100 Sachen im Monat. Von einer Lähmung des Verfassungsgerichts darf also keine Rede sein.

Herr Professor Morawski holte noch gegen deutsche Pressekonzerne aus, die die öffentliche Meinung in Polen und in Deutschland manipulieren. Er bedauerte auch die Tatsache, dass in Polen, anders wie in Deutschland, die Überprüfung auf die Zusammenarbeit mit den kommunistischen Geheimdiensten nicht wirklich stattgefunden hat.

Den zwei anwesenden deutschen Rechtswissenschaftlern: Prof. Dr. Martin Eifert, Dekan der Fakultät für Rechtswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin und Prof. Dr. Stefan Haak von der Juristischen Fakultät an der Europa-Universität Viadrina, blieb keine Wahl, als zuzuhören und nur auf einige Unterschiede beider Systeme hinzuweisen. Das Bundesverfassungsgericht schützt die Rechte der parlamentarischen Minderheit und gibt ihr notfalls eine Stimme, die gehört wird.

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Herr Prof. Andreas Voßkuhle hat bereits im Vorfeld die Einladung nach Berlin ausgeschlagen und stattdessen die Beteiligten zum Gespräch nach Karlsruhe eingeladen. Die Frage des Berliner Anwalts Stefan Hambura, ob dieses Gespräch stattfinden wird, wurde mit Zuversicht beantwortet.

Die eingeladenen Politiker und Vertreter der deutschen Presse blieben der Veranstaltung fern. Nur das polnische Staatsfernsehen TVP war gleich mit zwei Teams vor Ort, was einige Teilnehmer zu patriotischen Ausbrüchen verleitete. So hat sich der zweite Teil des Abends zu einer Fragerunde entwickelt, die mit dem eigentlichen Thema manchmal nichts zu tun hatte. Eine Rednerin, die wahrscheinlich nichts von den Vorträgen verstanden hat, stellte zum Beispiel fest, dass für den ganzen Schlamassel die deutsche Presse verantwortlich sei. Sie erntete dafür kräftigen Applaus. Was diese Behauptung mit der Kausalität der juristischen Krise in Warschau zu tun hat, blieb unklar. In einem Punkt hatte sie jedoch Recht: deutsche Journalisten haben sich auf die Warschauer Regierung gestürzt, ohne vorher nachzudenken, welche Folgen dieser Frontalangriff nach sich ziehen wird. Damit haben sie das Bild des „bösen Hans“ wiederbelebt, das den Generationen von Polen noch lange in der Nachkriegszeit durch die Sowjetpropaganda eingeprägt wurde. Alle im Saal schienen vergessen zu haben, dass es polnische EU-Abgeordnete und die Journalisten der „Gazeta Wyborcza“ gewesen sind, die diese Sache nach außen getragen haben.

Herr Guy Féaux de la Croix - Vorstandsvorsitzender des Vereins „Wir in Europa“ mahnte, die Diskussion in Warschau vernünftig zu führen und die Kluft zwischen den politischen Lagern nicht noch zu vergrößern.

Herr Prof. Morawski konkludierte: „Auf jeden Fall reden wir jetzt miteinander - das ist ein guter Anfang!“

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