25. Jubiläum des Nachbarschaftsvertrages

przez Helen Lewis

Kurze Bilanz der letzten 25 Jahre nach der Unterzeichnung des Nachbarschaftsvertrages zwischen Polen und Deutschland.

Der Deutsch-Polnische Nachbarschaftsvertrag vom 17. Juni 1991 ist unter Zeitdruck entstanden. Die Wiedervereinigung Deutschlands wurde von den Großmächten kritisch beobachtet. Die Grenzen und das Territorium Polens, des Landes zwischen der Sowjetunion und Deutschland, wurden in Folge des zweiten Weltkrieges massiv verändert. Die Warschauer Regierung war also dringend an der Absicherung der territorialen Integrität des Landes interessiert. Intensive Bemühungen der Diplomaten brachten im Endeffekt die Anerkennung der Grenze an der Oder und Neiße durch beide deutsche Staaten und anschließend durch die vereinigte Bundesrepublik.

Aus damaliger Sicht brachte der Vertrag dem polnischen Staat viele Vorteile. Seit der Unterzeichnung sind jedoch bereits 25 Jahre vergangen, oder anders ausgedrückt: ein Vierteljahrhundert, also knapp 2 Generationen.

In vielen Analysen des Vertrages, die in dieser Zeit entstanden sind, stoßen wir auf das Wort "Asymmetrie". Über diese Asymmetrie ist hauptsächlich die Rede im Bezug auf die ungleiche Behandlung der Polen in Deutschland und der Deutschen in Polen. Auf beiden Seiten gab es schon damals kritische Stimmen: der Vertrag wäre nicht ausreichend mit den betroffenen Minderheiten und den Vertriebenenverbänden konsultiert worden. Die Fragen der Entschädigungen für die Opfer des Krieges und der deutschen Besatzung wurden nach langem Tauziehen erst im Jahr 2000 geregelt, was bei den Polen einen bitteren Beigeschmack hinterlassen hatte. Bereits 2006 wurde in Polen ernsthaft überlegt, ob der Vertrag nicht neuverhandelt werden sollte.

Spätestens nach dem EU-Beitritt Polens war die Anpassung an die Realität fällig. Vor 5 Jahren wurde in Berlin der 20. Jahrestag der Unterzeichnung gefeiert, mit einem wissenschaftlichen Forum und Diskussionspanelen. Nach der Veranstaltung hat es etwas mehr Bewegung in den Bildungsfragen und im Kulturaustausch gegeben.

Schauen wir uns einige Artikel des Vertrages und ihre Umsetzung etwas genauer an!

- Zitat aus Artikel 2: "Sie (die beiden Staaten) bekräftigen das Recht aller Völker und Staaten, ihr Schicksal frei und ohne äußere Einmischung zu bestimmen und ihre politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung nach eigenen Wünschen zu gestalten." ...

- Artikel 3 Absatz (2): "Konsultationen auf der Ebene der Regierungschefs finden so oft wie erforderlich, mindestens einmal jährlich statt."

Die Konsultationen gestalten sich, z.B. im Vergleich zu den deutsch-französischen, sehr schwierig. Die ersten fanden erst 1997 statt. Die Unregelmäßigkeit führte dazu, dass bis heute keine Formel dieser Gespräche erarbeitet werden konnte. Artikel 7 des Vertrages verpflichtet doch beide Länder zu Konsultationen, sobald eine gefährliche internationale Lage entstehen sollte. Die Misserfolge, wie zum Beispiel in der Frage des Irakkrieges, der gemeinsamen Energiepolitik, oder zuletzt der Problematik um den Krieg in der Ukraine oder der Flüchtlingspolitik, bestätigen den dringenden Handlungsbedarf.

Internationale Freundschaft soll eine wirtschaftliche Bestätigung finden. Darum heißt es im Artikel 9 Absatz (1): "Die Vertragsparteien werden sich für die Ausweitung und Diversifizierung ihrer wirtschaftlichen Beziehungen in allen Bereichen einsetzen."

Die Angleichung des Lebensstandards schreitet zwar voran, aber die Sozialsysteme auf beiden Seiten der Grenze funktionieren heute nicht so, wie man sich das vor 25 Jahren vorgestellt hat. Artikel 14 Absatz (2) sagt: "Die Bundesrepublik Deutschland wird der Republik Polen bei der Umgestaltung der Systeme der sozialen Sicherung, der Arbeitsförderung und der Arbeitsbeziehungen beratende Hilfestellung leisten."

In den letzten Jahren beobachten wir in Deutschland eine gefährliche Entwicklung im Bereich der sozialen Absicherung. Die Auswirkungen der Systemfehler verstärkt die zu niedrige Geburtenrate. Östlich der Oder leisten wiederum immer weniger Menschen ihre Sozialbeiträge. Die Ursache liegt in der massiven Auswanderung, in der Arbeitslosigkeit und auch in der demographischen Entwicklung. Angesichts dieser Situation fällt es schwer zu beurteilen, ob das deutsche Modell der Sozialabsicherung auch für Polen richtig wäre, wie es im Artikel 34 Absatz (2) vorgesehen.

Artikel 19 - die Absätze 2 und 3 sind seit dem EU-Beitritt Polens obsolet, da die Handelsbarrieren und Zölle gehören der Vergangenheit an.

Neben der unpräzise definierten Pflichten und mehreren zu allgemeinen Formulierungen, die eine ziemlich freie Interpretation zulassen, begünstigt der Vertrag etwas einseitig die Deutsche Minderheit in Polen. Im Bezug auf die in Deutschland lebenden Polen wird das Wort "Minderheit" gemieden.

Artikel 20 Absatz (1): "Die Angehörigen der deutschen Minderheit in der Republik Polen, das heißt Personen polnischer Staatsangehörigkeit, die deutscher Abstammung sind oder die sich zur deutschen Sprache, Kultur oder Tradition bekennen, sowie Personen deutscher Staatsangehörigkeit in der Bundesrepublik Deutschland, die polnischer Abstammung sind oder die sich zur polnischen Sprache, Kultur oder Tradition bekennen..."

Artikel 20 Absatz (3): "Die Vertragsparteien erklären, dass die im Absatz 1 genannten Personen insbesondere das Recht haben, einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen Mitgliedern ihrer Gruppe

- ihre eigenen Bildungs-, Kultur- und Religionseinrichtungen,

- Organisationen oder Vereinigungen zu gründen und zu unterhalten, die um freiwillige Beiträge finanzieller oder anderer Art sowie öffentliche Unterstützung im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften ersuchen können und gleichberechtigten Zugang zu den Medien ihrer Region haben,"

Die Finanzen wären also - theoretisch - gesichert. Eine polnisch-sprachige Sendung z.B. des MDR gibt es dagegen noch nicht.

Und weiter: "- sich zu ihrer Religion zu bekennen und diese auszuüben, einschließlich des Erwerbs und Besitzes sowie der Verwendung religiösen Materials, und den Religionsunterricht in ihrer Muttersprache abzuhalten,"

Diese Thematik wurde in das Vertragswerk aufgenommen, obwohl die Religions- und Bildungsfragen in der Kompetenz der Landesregierungen und der einzelnen Bistümer liegen. Für die über 5000 Kirchensteuerzahler mit polnischem Pass im Bistum Magdeburg gibt es eine Messe in polnischer Sprache pro Monat...

"- ihre Vor- und Familiennamen in der Form der Muttersprache zu führen,

- Organisationen oder Vereinigungen in ihrem Land einzurichten und zu unterhalten und in internationalen nichtstaatlichen Organisationen mitzuarbeiten,

- sich wie jedermann wirksamer Rechtsmittel zur Verwirklichung ihrer Rechte im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften zu bedienen."

Die nationalen Rechtsvorschriften bieten allen Bevölkerungsgruppen die Möglichkeiten zur Entfaltung ihres menschlichen Potenzials. Die deutsche Minderheit in Polen genießt ihre Rechte und staatliche Unterstützung, sowohl von der polnischen, als auch von der deutschen Seite. Und es ist gut so!

Nach Artikel 22 Absatz (2): "Jeder Angehörige der in Artikel 20 Absatz 1 genannten Gruppen in der Republik Polen beziehungsweise in der Bundesrepublik Deutschland ist nach Maßgabe vorstehender Bestimmungen gehalten, sich wie jeder Staatsbürger loyal gegenüber dem jeweiligen Staat zu verhalten, indem er sich nach den Verpflichtungen richtet, die sich auf Grund der Gesetze dieses Staates ergeben."

Den deutschsprachigen Minderheiten in Polen hat man bereits vor der Wende vorgeworfen, mit Vertriebenenverbänden in Deutschland gemeinsame Sachen zu machen. Man verdächtigte also die eigenen Bürger. Es ist davon auszugehen, dass auch diejenigen, die das Land verlassen haben, um sich in Deutschland niederzulassen, kein besonderes Vertrauen der polnischen Behörden genießen. Anders lässt sich nicht erklären, warum die Anliegen der in Deutschland lebenden Polen von den Warschauer Regierungen immer wieder für andere politische Ziele geopfert wurden, egal, welche Partei in Warschau gerade das Sagen hatte und warum nur bestimmte Organisationen die Privilegien genießen.

Was die autochthone Bevölkerung als "Vaterland" bezeichnet, ist für die meisten Einwanderer das Land ihrer Kinder. Diese Zukunftsorientierung bestimmt auch ein besonderes Verhältnis zur neuen Heimat, als zu dem Land, in dem eigene Kinder und die Kindeskinder aufwachsen, ihre Familien gründen und ihr Leben verbringen werden. Die Loyalität gegenüber den eigenen Kindern lässt sich sehr schwer infrage stellen.

Die Information über den Vertrag soll dringend verbessert werden. Es gibt Staatsbeamte, die von dem Vertrag noch nie gehört haben oder seinen Inhalt nicht kennen.

Die Abneigung gegenüber den Polen und der polnischen Sprache ist in Deutschland in den letzten Jahren weniger spürbar geworden. Neue Generationen verständigen sich schnell und kennen die Vorurteile nicht, oder stoßen sie ab als Relikte, die sie an die Rückständigkeit ihrer Vorfahren erinnern. Die polnische Sprache könnte man eines Tages vielleicht doch gebrauchen: z.B. bei Klassenfahrten, beim Jugendaustausch, beim Einkaufen in Polen. Und Jan Böhmermann könnte vielleicht in Polen um Asyl ersuchen...

Die NATO- und EU-Mitgliedschaft Polens haben einen vollkommen neuen Rahmen für die Koexistenz der beiden Staaten geschaffen. Deutschland hat seine Vertragspflicht in diesem Punkt mehr als erfüllt und Polen beim EU-Beitritt beispiellos unterstützt. Die wachsende wirtschaftliche Zusammenarbeit und Investitionen sprechen für sich. Die Zusammenarbeit der beiden Länder trägt zur Stabilisierung der ganzen Region bei. Desto dringender werden der politische Wille und ein paar kluge Köpfe benötigt, um die unpräzisen Formulierungen im Vertrag zu korrigieren. Auch die Umsetzung soll wieder mehr Wind in die Segel bekommen.

Der vor wenigen Wochen verstorbene ehemalige Bundesaußenminister Hans Dietrich Genscher hat immer auf das große Potenzial Polens hingewiesen. Er sah die Rolle Polens als richtungsweisend in der deutschen Außenpolitik im Osten, ähnlich, wie die Frankreichs im Westen.

Wir wünschen uns, dass unsere Politiker direkt miteinander reden und nicht über die Medien.  "In politisch schwierigen Zeiten kommt es auf den Draht zwischen den Menschen an." Aus unserer gemeinsamen Geschichte haben wir gelernt, dass es auf die Zusammenarbeit und Freundschaft der einfachen Menschen ankommt, denn "die Regierungen kommen und gehen, aber die Völker bleiben".

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